In Blei denkt man anders: young+restless zwischen Tradition und Transformation

Foto: Henrik Andree/meko factory
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Veröffentlicht am 14.11.2017

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Wenn junge Leute aus Startup-Szene, Medienwelt und Kreativwirtschaft zusammenkommen, stehen häufig die Chancen der Digitalisierung im Vordergrund – und die Frage, wie die Welt noch schneller und noch vernetzter werden kann. Bei der November-Ausgabe des Berliner Netzwerktreffens young+restless im Telefónica BASECAMP zum Thema „Digitalisierung vs. Althergebrachtes“ war das anders.

Gleich zu Anfang brach eine junge Frau eine Lanze für das Althergebrachte. Lena Naerger von der Kulturprojekte Berlin GmbH erzählte, sie sei Tochter einer Töpferin und eines „Dachziegelbäckers“. „In mir schreit es ganz laut: Tradition! Sie sei in einer kreativen, vom Handwerk bestimmten Umgebung aufgewachsen und habe sich selbst früh für „die kleinste Einheit der Sprache“ interessiert: den Buchstaben. An der Fachhochschule Düsseldorf hat sie Kommunikationsdesign studiert und angefangen, eine Leidenschaft für etwas Altmodisches zu entwickeln: den Bleisatz. Bleisatz sei langsam, mühselig – und biete deshalb mehr Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Materie. „Ich habe Bleisatz als künstlerischen Prozess genutzt.

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Lena Naerger, Kulturprojekte Berlin GmbH; Foto: Henrik Andree/meko factory

Natürlich aber blieb es nicht dabei. Bei unterschiedlichen Arbeitgebern wie etwa Flyeralarm habe sie hauptsächlich digital gearbeitet und wisse die Vorteile wie zum Beispiel die Schnelligkeit zu schätzen. Ob die Digitalisierung der Gegner von Kreativität sei, fragt Lena Naerger und beantwortet die Frage gleich selbst: Beides sei sehr wichtig füreinander. Die Vorteile der Digitalisierung solle man nutzen, ohne dabei das Althergebrachte zu vergessen. „In Blei denkt man anders als im Digitalen.

Diskussionsrunde: Chancen der Digitalisierung

In der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von Diana Scholl, der stellvertretenden Leiterin Volkswirtschaft beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft, treffen drei sehr unterschiedliche Branchen aufeinander. Yannick Haan, Sprecher des netzpolitischen Forums der SPD, berichtet von den Herausforderungen, Parteipolitik moderner zu gestalten. Er habe gedacht, in eine Partei einzutreten und alles digitalisieren zu können, erzählt er schmunzelnd. Aber so einfach sei das nicht. „Das musste ich lernen.

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Yannick Haan, Sprecher des netzpolitischen Forums der SPD, Lena Naerger, Kulturprojekte Berlin GmbH, Christoph Nitz, Mitglied des Vorstandes beim Deutschen Journalistenverband DJV Berlin e.V., und Moderatorin Diana Scholl, stellvertretende Leiterin Volkswirtschaft beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft; Foto: Henrik Andree/meko factory

Christoph Nitz, Mitglied des Vorstandes beim Deutschen Journalistenverband DJV Berlin e.V., berichtet aus der Perspektive eines Verbands, der eine Branche im Wandel zum Digitalen vertritt. Ähnlich wie bei der Erfindung des Buchdrucks stelle die Digitalisierung die Möglichkeit dar, eine ganz andere Medienwirkung zu erreichen. Man solle dem Print nicht hinterherweinen, sagt Nitz. Online-Journalismus biete beispielsweise die Möglichkeit, Videos und Bilder in Texte einzubinden. „Die Chancen sind vielfältiger.“ Was man schaffen müsse, seien allerdings Erlösmodelle für digitale Produkte. Für den Verband bedeute die Transformation auch, nicht mehr nur die klassischen Print-, Radio- und Fernsehjournalisten zu vertreten. „Wir müssen auch die Blogger mitnehmen und uns in eine Medieninteressenvertretung wandeln“, betont er.

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Foto: unsplash / Luis Llerena

Etwa beim Thema Recherche habe die digitale Technik viele Erleichterungen gebracht. Nitz nennt als Beispiele die Panama- und die Paradise-Papers, die Journalisten in analoger Form niemals in so kurzer Zeit hätten bearbeiten können. Er plädiert dafür, die Chancen der Digitalisierung zu sehen und gesellschaftlich neu auszuhandeln. Auch dem Thema künstliche Intelligenz verschließt er sich nicht: Es gebe im Journalismus Dinge, wie zum Beispiel den Wetterbericht, die nicht unbedingt von Menschenhand gemacht werden müssten.

Strukturen öffnen: Digitalisierung darf nicht spalten

Ähnlich wie bei Verbänden ist auch bei Parteien die Modernisierung oft ein schweres Thema. Yannick Haan plädiert dafür, Parteistrukturen zu öffnen. Viele junge Leute hätten zwar Lust, sich zu engagieren, wollten aber nicht vier Abende in der Woche bei Sitzungen verbringen. Als Vorbild nennt Haan die Sektion 8 der österreichischen Sozialdemokraten in Wien, die sich als NGO innerhalb der Partei begreifen.
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Beim Thema Digitalisierung verweist Haan darauf, dass viele Menschen noch immer in Regionen ohne Breitbandversorgung leben. Mit einer verbesserten Infrastruktur müsse man dafür sorgen, die Regionen wieder zusammenzubringen. Die Digitalisierung dürfe nicht zu einer sozialen Spaltung führen. Digitale Chancen können sich auch ins Negative verkehren, warnt Haan und nennt als Beispiel die Sharing Economy. „Das war eigentlich, fand ich, eine tolle Idee.“ Allerdings habe die Wirtschaft das Prinzip, Güter zu teilen, aufgegriffen und zu Geld gemacht.

Unternehmen wie Airbnb verursachten inzwischen Verdrängungsprozesse beim Thema Wohnraum. „Auf der einen Seite nutze ich das auch selbst“, erklärt er. „Auf der anderen Seite sehe ich auch die negativen Folgen.“ Früher habe die Digitalisierung die Menschen gespalten – in die Super-Euphorischen und diejenigen, die sagten: „Die Welt geht unter“. Jetzt sei man an einem Punkt, an dem man diskutieren könne, welche Art von Digitalisierung man wolle, sagt Haan. Dabei appelliert er auch an die jüngere Generation, sich einzumischen.

Yannick Haan, Sprecher des netzpolitischen Forums der SPD, Foto: Henrik Andree/meko factory

Zwar sind sich die Diskutanten darin einig, Social-Media-Kanäle zu nutzen, doch auch beim Thema Kommunikation setzen sie teilweise auf altmodische Mittel. Wenn sie als Verband Menschen wirklich erreichen wollen, verschicken sie Briefe, berichtet Moderatorin Diana Scholl.

Sexy Solidarität: Zukunftswünsche der Diskutanten

Auf einen Impuls im Publikum hin bestätigt Yannick Haan, dass die SPD – wie fast alle Parteien – im Bundestagswahlkampf zu wenig auf Social Media gesetzt hätten. Er selbst schlägt vor, auch die E-Mail stärker als Medium zu nutzen, beispielsweise für Newsletter. Christoph Nitz verweist dabei auf den Berliner Tagesspiegel, der viel damit arbeitet – auch auf Bezirksebene. Dadurch werde auch der Lokaljournalismus revitalisiert, der so in der Printausgabe gar nicht abgebildet werden kann, betont Nitz. Auch die Auflage der Printausgabe sei dadurch gestiegen.

Wie es für die Schallplatte eine Nische gibt, werde es auch für Printausgaben weiter Verwendung geben, ist er sicher. Was er sich für die Zukunft wünsche sei eine Renaissance der Solidarität unter Medienschaffenden, die auch YouTuber und andere miteinschließe. „Man muss einfach vermitteln, dass Solidarität sexy und modern ist.“ Als ganz praktische Forderungen nennt er ein neues Urheberrecht und neue Entlohnungsstrukturen.

Auch Lena Naerger hegt den Wunsch, dass alte Werte nicht in Vergessenheit geraten. „Ich wünsche mir für meine und die nachfolgende Generation, dass auch immer eine Rückbesinnung stattfindet. Dass das Haptische nicht vergessen wird durch das ewige Getouche und Gewische“, sagt sie und lacht. In eine ähnliche Richtung geht Yannick Haan mit seiner Vorstellung von einer besseren Zukunft. „Ich hoffe, dass es eine Politik gibt, die schnell und langsam gleichzeitig ist.“ Damit meine er, dass Dinge nicht schneller nach außen kommuniziert werden, als sie ausgehandelt werden.

Von Christoph Nitz

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young+restless ist das Netzwerktreffen für Young Professionals aus dem politischen Berlin, der Startup-Szene, der Medienwelt sowie der Kreativwirtschaft. Das Format ist eine Mischung aus Impulsen, Themen (als Round-Table-Gespräche und als Präsentationen organisiert) sowie Networking.

Seit Februar 2015 findet die Veranstaltungsreihe im Telefónica BASECAMP statt.
Kuratiert wird y+r von meko factory gUG in Kooperation mit POLICY LAB, der politischen Ideenfabrik und polisphere | think tank for political consulting

Premium-Sponsor: Telefónica BASECAMP
Sponsoren: degewo, innogy, YouGov, Händlerbund e.V.
Partner: Bundesverband Deutsche Startups e.V.
Premium-Medienpartner: Der Tagesspiegel, FluxFM
Medienpartner: BerlinValleyNews, next.news, THE Hundert, #mekolab, UVK Verlag, Voice Republic

Save the Dates:

Auch die nächsten Termine für young+restless stehen schon fest:

  • Montag, 21. November: 3. DigTalk – Reden für das digitale Zeitalter
  • Donnerstag, 14. Dezember: Winter-Edition

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