Eine Energiequelle, viele Möglichkeiten: Wie die Sektorkopplung Wärme, Strom und Infrastruktur vernetzt.

Kraftwerke, Stromleitungen, Steckdosen – gibt’s langweiligeres als die Stromwelt von gestern?
Veröffentlicht am 28.02.2018

Foto: Henrik Andree

Die Energiebranche befindet sich im Umbruch. Von vielen als Chance wahrgenommen, stellen die Entwicklungen die Branche zugleich vor große Herausforderungen. Strom muss neu verteilt, erneuerbare Energien sinnvoll eingesetzt, Sektorkopplung in den Fokus genommen werden. Neue Geschäftsmodelle tun sich auf, Start-ups drängen auf den Markt und bisherige Big Player müssen umdenken. Zum Stichwort digitalisierte Energiewelt von morgen – und übermorgen – diskutierten am 22. Februar Akteure der Energiebranche beim Netzwerktreffen young + restless im Telefónica BASECAMP in Berlin.

Ein zentrales Thema dabei: die Sektorkopplung. Doch was ist das überhaupt? Dr. Ingrid Nestle aus der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN meint: „Die Sektorkopplung ist Schritt 2 der Energiewende.“ Im ersten Schritt habe man bewiesen, dass die Erneuerbaren Energien die Stromversorgung stemmen können, dass „sie Menge können“. Dennoch gilt: „Wir werden niemals so viel Erneuerbare produzieren, dass wir das bisherige System eins zu eins mit Erneuerbaren weiterführen können. Wir brauchen den Strukturwandel!“
Und da kommt die Sektorkopplung ins Spiel: Durch die intelligente Vernetzung von Sektoren wie beispielsweise Strom, Wärme und Infrastruktur soll Speicher gespart und ein effizienterer Umgang mit Energie gewährleistet werden.

young+restless: It’s energy, stupid! – Einblick in die Energiewelt von Übermorgen
Dr. Ingrid Nestle, Bundestagsfraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN; Foto: Henrik Andree

Erneuerbare Energien spielen eine entscheidende Rolle für das junge Unternehmen shine. „Der Energieverbrauch ist in den letzten Jahren unglaublich stark angestiegen und wird es auch weiter tun“, erklärt Dr. Felix Grolman, CEO von shine. Wir brauchen also immer mehr Strom. Die Lösung: Haushalte sollen zunehmend eigenen Strom produzieren. Shine unterstützt diesen Prozess, indem es dezentrale Energiesysteme steuert. Mithilfe von innovativen Technologien zur Optimierung von lokalen Energieflüssen, Stromspeicher- und Verbraucher-Technologien ermöglicht es autarke Gemeinschaften – unabhängig von großen Kraftwerken und Übertragungsnetzen.

Mit neuen Geschäftsmodellen zum Energiewandel

Innogy Venture unterstützt Unternehmen wie shine bei dem Ziel, ihre innovativen Technologien zur Marktreife zu bringen. „Wir interessieren uns dabei weniger für den direkten Link ins Geschäft. Entscheidend ist, dass das Business-Modell Sinn ergibt“, erklärt Felix Krause von innogy Venture. Dabei investiert das Unternehmen aktuell in Firmen in Nordamerika, Europa und Israel. Eines dieser Unternehmen ist Ucair. Dieses hat sich der Instandhaltung der etwa 1,6 Millionen Photovoltaikanlagen, die es aktuell in Deutschland gibt, angenommen. „Wir müssen uns um die bestehenden Anlagen kümmern – nicht nur neue bauen“, meint CEO und Co-Founder Christian Shuster. Verschmutzungen und Defekte können die Anlagen daran hindern, ihr volles Potenzial zu entfalten. Die Folge: Den Kunden entgehe Geld, und Energie bleibe ungenutzt. Ucair inspiziert die Anlagen mithilfe von Drohnen – und informiert die Kunden darüber, ob und wo es Probleme gibt.

Auch Fresh Energy trägt mit seinem Geschäftsmodell zum Energiewandel bei. Die Vision: dem Kunden volle Transparenz über den eigenen Stromverbrauch ermöglichen. Mithilfe eines Smart Meters ermittelt Fresh Energy, wie viel Strom die verschiedenen Geräte im Haushalt verbrauchen. CEO Christian Bogatu erklärt: „Wir können dem Kunden genau sagen, wieviel Strom der eigene Kühlschrank oder die eigene Waschmaschine verbraucht.“ Eine App liefert dem Nutzer dann Informationen darüber, wie er Strom sparen kann. „So bekämpfen wir Stromfresser“, verkündet Bogatu. Eine zentrale Rolle spielen dabei also die gewonnenen Daten. Und für die gibt es zahlreiche weitere Verwendungsmöglichkeiten. So kann Fresh Energy beispielsweise zählen, wie oft die Spülmaschine eines Nutzers läuft und auf diesem Weg abschätzen, wie viele Spültabs verbraucht werden. Eine kurze Information an den Tab-Hersteller genügt und schon werden dem Kunden neue geliefert – natürlich nur, wenn der Kunde diesem Austausch zustimmt.

Christian Bogatu, CEO von Fresh Energy; Foto: Henrik Andree

Ein unheimlicher Gedanke? Findet derzeit auch noch ein Großteil der Bevölkerung. Das Marktforschungsinstitut CIVEY hat Teilnehmer gefragt, ob intelligente Stromzähler beim Stromsparen helfen können. Die Antworten sind durchmischt, es herrscht Unschlüssigkeit. Ein Grund laut CIVEY: Die Nutzer haben wenig Vertrauen und Angst davor, dass ihre Daten missbraucht werden.

Datenschutz – ein zentrales Thema der Podiumsdiskussion bei young + restless.

Saskia Esken aus der SPD-Bundestagsfraktion kritisiert, dass man bei Diskussionen um den Datenschutz permanent über eine Balance zwischen den Interessen der Bürger und denen der Unternehmen spreche: „Datenschutz ist kein Interesse, es ist ein Grundrecht!“ Thomas Heilmann, Mitglied der CDU/CSU Fraktion, stimmt dem zu, meint jedoch auch, dass wir als Gesellschaft abhängig von Daten sind. So müsse man beispielsweise genau wissen, wie viele Autos wann wo unterwegs sind, um die Verkehrssteuerung entsprechend zu planen. Er plädiert für grundsätzlichere Regelungen zum Datenschutz: „Wir können nicht hinter jede Innovation ein neues Gesetz schreiben. Wir brauchen allgemeinere Verordnungen.“

young+restless: It’s energy, stupid! – Einblick in die Energiewelt von Übermorgen
von links: Thomas Heilmann, Marco Junk, Jana Kugoth, Hans-Wilhelm Dünn und Saskia Esken; Foto: Henrik Andree

Marco Junk, Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft, kritisiert das unentschlossene Vorgehen der Politik in Bezug auf den Datenschutz. Die Datenschutzgrundverordnung „wabere herum“, die ePrivacy-Verordnung werde gerade erst verhandelt. Unternehmen, deren Business-Modell auf Digitalisierung beruht, seien verunsichert. „Nichts ist schlimmer, als eine Industrie, die sich auf mehrere Szenarien vorbereiten muss“, mahnt er und fordert dazu auf, den Datenschutz auch chancenbasiert zu betrachten, statt immer nur Panik zu machen und Horror-Szenarien zu kommunizieren.

Auch Hans-Wilhelm Dünn, Generalsekretär Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e.V., plädiert dafür, die Chancen der Datensammlung und des -austauschs verstärkt zu kommunizieren: „Im Krankenhaus ist  es zum Beispiel wichtig, Daten zu sammeln und auszuwerten. Es gibt viele verschiedene Krebssorten, die nur mit guten Daten behandelt werden können.“ Hier gäbe es jedoch ein Kommunikationsproblem. Anhand von Beispielen müsste der Bevölkerung näher gebracht werden, was Datenschutz und die Verordnungen für verschiedene Branchen und Unternehmen konkret bedeuten. „Wir müssen das dolmetschen, wir müssen Beispiele finden.“

Ein erster Schritt in Richtung dolmetschen ist mit diesem Diskussions- und Netzwerkabend getan – spätestens, als sich Akteure und Gäste abschließend in Round Tables zu tiefergehenden Hintergrundgesprächen, Austauschrunden und kritischen Nachfragen zusammenfinden.

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– Dieser Text wurde von young+restless/meko factory zur Verfügung gestellt –

Von Luise Schneider

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